Hefejagd in Südamerika und Europa

Wir folgen dem Biologen Dr. Juan Ignacio Eizaguirre bei seiner Hefejagd vom Braukessel an seiner Universität in Argentinien ins Labor des Forschungszentrums Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität. Im Interview berichtet er, was ihn an der Hefe so fasziniert.

Veröffentlicht am 20/11/2024

Rohstoffe
Bier, alkoholfreies Bier

Ein Beitrag von

Emily Vegas

freie Autorin

Hefe, ein faszinierender Mikroorganismus

Erzähl uns bitte etwas über dich und wie du zur Hefeforschung gekommen bist.

Dr. Juan Ignacio Eizaguirre

Mein Name ist Juan Ignacio Eizaguirre, ich bin Biotechnologe und habe einen Doktortitel in Biologie, bin spezialisiert auf wilde Hefen zum Bierbrauen. Ich habe 2011 in der Welt des Bieres als Hobbybrauer angefangen. Als ich im letzten Jahr meines Bachelor-Abschlusses in Biotechnologie und Molekularbiologie an der National Universität in La Plata, Argentinien war, schlug ein Professor vor, dass wir eine der ältesten Biotechnologien der Welt als praktische Arbeit durchführen sollten: Bierbrauen.  Ich erinnere mich, dass das erste Bier, welches wir an der Universität herstellten, ein Porter mit mehr als 5 verschiedenen Malzsorten war. Es war einfach unglaublich lecker.

Damals kauften wir mit meinen Freunden die Ausrüstung, um eine Charge von 50 Litern herzustellen. Wir begannen in der Garage meines Elternhauses, ohne viel Wissen, aber mit viel Lust. Die ersten Biere wurden nur im Freundeskreis getrunken, dann begannen die Leute, das Bier bei uns zu kaufen. Schlussendlich hatten wir 2012 eine eigene Brauerei in La Plata, Argentinien, wo wir etwa 100 Liter pro Charge herstellen konnten. Zu dieser Zeit beendeten wir alle unsere Studien und jeder von uns hatte seine eigenen persönlichen Ziele. Drei meiner Freunde begannen zu promovieren, aber ich war nicht sehr überzeugt, ich war bereits mit dem Bierbrauen verbunden.

So kam es, dass ich kurz darauf einen Forscher in Patagonien, Argentinien, kontaktierte, der eine einheimische Hefe entdeckt hatte. Diese Hefe war der Ursprung des Lagerbiers (zu dieser Zeit hatte ich keine Ahnung vom Unterschied zwischen einem Ale und einem Lagerbier, aber mit der Zeit und ein paar Bieren konnte ich das Konzept verstehen).

Als ich meine Karriere begann, war es mein Ziel, mich auf die Weinindustrie zu konzentrieren, eine sehr starke Branche in Argentinien. Ich habe mich schon immer für den Prozess der Weinherstellung interessiert, vom Traubenanbau über die Kelterung bis hin zur Gärung und Reifung. Seit ich sehr jung war, besuchte ich mit meiner Familie viele Weinkeltereien, und das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Hätte ich nicht zum Abschluss meines Studiums gelernt Bier zu brauen, wäre ich heute vielleicht in der Weinbranche tätig. Aber als ich sah, welche Möglichkeiten sich mir eröffneten, als ich lernte, wie man eine Energiequelle wie ein Gerstenkorn, in ein so schmackhaftes Getränk verwandelt, das man mit anderen teilen kann, gab es kein Zurück mehr.

Woran arbeitest du gerade und wie bist du ans Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität gekommen?

Dr. Juan Ignacio Eizaguirre

Ich arbeite derzeit am Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Das Hauptprojekt, an dem ich arbeite, ist die Rolle von Fettsäuren beim Bierbrauen, ein Projekt, das von Dr. Martin Zarnkow geleitet wird. Außerdem arbeite ich an dem von Dr. Mathias Hutzler geleiteten Projekt Hefejagd mit, bei dem wir auf der Suche, Isolierung und Identifizierung neuer Hefen für die Brauindustrie sind. Das sind die Hauptthemen, aber wir versuchen auch, eine Gruppe für die Genomanalyse von Brauereihefen zu bilden, neben anderen sehr interessanten Innovationsprojekten.

Das ich in Weihenstephan gelandet bin, ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen meiner Forschungsgruppe in Argentinien und der Gruppe in Weihenstephan in Deutschland. Eine Zusammenarbeit, die Dr. Diego Libkind und Dr. Hutzler vor einiger Zeit begonnen haben. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit erhielt ich eine Einladung zur Teilnahme an einer Probenahme in Georgien, im Kaukasus, und ich verbrachte drei Monate in Europa zwischen der Probenahme und allen Analysen, die zur Identifizierung der Hefen durchgeführt wurden. Es gelang uns schließlich, mehr als 100 Hefen zu isolieren und zu identifizieren, von denen 35 zur Gattung Saccharomyces gehörten, die eng mit dem Bierbrauen verwandt sind. Im darauffolgenden Jahr erhielt ich eine weitere Einladung, und diesmal sollte ich eine längere Zeit bleiben.

Erzähl uns über die patagonische Hefe und was sich durch sie in der Welt des Bierbrauens geändert hat?

Dr. Juan Ignacio Eizaguirre

Die „patagonische Hefe“ bezieht sich auf Saccharomyces eubayanus, eine 2011 von Dr. Libkind und Dr. Hittinger beschriebene Art, die in den argentinischen Anden/Patagonien isoliert wurde. Diese Entdeckung sorgte weltweit für Aufsehen in der Brauwissenschaft, da die Forscher durch die Untersuchung des vollständigen Genoms den Ursprung der Lagerhefen fanden.

Die Erklärung ist vielleicht etwas komplizierter, aber machen wir uns Folgendes klar: Die Art der Gärung eines Bieres bestimmt sein Profil und in gewissem Maße sogar seinen Stil. Grob gesagt gibt es zwei Arten von Gärungen: die obergärige und die untergärige. Erstere werden von Hefen der Spezies S. cerevisiae durchgeführt, die in der Lage sind, die Zucker in der Würze zu vergären und die im Bier herrschenden Stressbedingungen wie Ethanol, pH-Wert, Säuregehalt usw. zu tolerieren.

Letztere werden von S. pastorianus übernommen, eines Hefehybrid zwischen einer Bierhefe (mit den oben genannten Gärfähigkeiten) und einer anderen Hefe, die es dem Hybrid ermöglicht, bei niedrigen Temperaturen zu gären. Es sei daran erinnert, dass der große Unterschied zwischen einer obergärigen und einer untergärigen Hefe in der Gärtemperatur besteht, und diese wird durch die verwendete Hefe bestimmt. Als Dr. Libkind das Genom von S. eubayanus sequenzierte (übrigens das erste vollständige Genom einer Hefe in Argentinien), stellte er fest, dass diese Art der andere Elternteil der Lager-Hybride war.

Nachdem ein Rätsel, das die Bier-Mikrobiologen in Atem gehalten hat, gelöst wurde, sind nun viele weitere Zweifel aufgekommen. Wie kann es sein, dass der Ursprung der Lagerhefe, deren Entwicklung in Mitteleuropa begann, in Patagonien liegt? Wie kam diese Hefe nach Europa? Wie konnte sie mit S. cerevisiae hybridisieren? Kann diese patagonische Hefe zur Bierherstellung verwendet werden? Welche Biersorten können mit ihr hergestellt werden? Dies waren nur einige der Fragen, die sich stellten.

Heute, fast 15 Jahre später, können wir viele von ihnen beantworten, denn es hat sich herausgestellt, dass S. eubayanus auch in Chile, den Vereinigten Staaten, China, Neuseeland und vor zwei Jahren in Irland gefunden wurde. Wir wissen jedoch immer noch nicht, wie diese Mikroorganismen eingewandert sind, geschweige denn, wo diese 1883 von Chris Emil Hansen isolierten Hybride, aus der heute mehr als 90 % der Biere der Welt hergestellt werden, tatsächlich entstanden sind.

Erzähl uns über die Hefejäger? Woraus besteht dieses Projekt? Und was sind eure aktuellen Erkenntnisse?

Dr. Juan Ignacio Eizaguirre

Die Wahrheit ist, dass es sich um ein äußerst interessantes Projekt handelt, nicht nur für die Welt des Bierbrauens, sondern auch im Hinblick auf die biologische Vielfalt, die Umwelt und die Erhaltung der natürlichen Ressourcen, und das biotechnologische Potential, das sich daraus ergibt, ist unermesslich.

Das Projekt besteht allgemein in der Isolierung und Identifizierung von Hefen aus natürlichen und anthropogenen Umgebungen mit dem Ziel, sie in der Brauindustrie zu verwenden. Seit Hansens Entdeckung bis zum heutigen Tag ist die Biergärung eine Monokultur mit Lager- und obergärigen Hefen geworden. In der Vergangenheit waren die Gärungen jedoch Mischkulturen, wenn auch wahrscheinlich von einer Hefe der Gattung Saccharomyces dominiert. Diese Traditionen werden nur noch an wenigen Orten aufrechterhalten, wie z. B. in Belgien, wo wir wissen, dass andere Hefen unerlässlich sind, um die charakteristischen Aroma- und Geschmacksprofile zu erzielen. Wenn wir uns also in die Natur begeben oder historische Stätten aufsuchen, an denen Bier gebraut oder gelagert wurde, können wir auf neue Hefen stoßen, mit denen sich neue Biere herstellen lassen.

Zunächst wird die Probenahmestelle festgelegt, entweder durch eine historische Referenz oder eine unerforschte natürliche Umgebung. Hier werden die Proben genommen, selektive Nährmedien verwendet, um die gesuchten Hefen zu isolieren. Dann ist es an der Zeit, diese Mikroorganismen zu identifizieren und zu charakterisieren. Mittendrin viel Arbeit, viel Lernen, in jeder Hinsicht, sei es durch den Einsatz oder die Entwicklung neuer und effektiverer Techniken oder durch die kulturelle Bereicherung, die man erfährt, wenn man sich mitten im Kaukasus befindet und ein Bier genießt, das in den Bergen auf über 2000 Metern Höhe gebraut wurde.

Welche Entwicklungen beobachtest du im Bereich der Hefeforschung?

Dr. Juan Ignacio Eizaguirre

In den letzten Jahren haben sich die Entwicklungen im Bereich der Brauereihefen auf die Herstellung von alkoholfreien Bieren konzentriert, ein Markt, der sprunghaft wächst. Während in der Vergangenheit die Herstellung dieser alkoholfreien Biere (die je nach Land bis zu 1 % Alkohol enthalten dürfen) durch eine unterbrochene Gärung oder durch mechanisch-physikalische Verfahren erfolgte, die einem normalen Bier den Alkohol entzogen, liegt der Schwerpunkt heute auf der Verwendung von Hefen, die keine Malzzucker verwerten können. Eine Bierwürze enthält als Hauptzucker Glukose, Maltose und Maltotriose. Ist eine Hefe maltose-negativ (und damit aufgrund der Transporter auch maltotriose-negativ), kann sie nur die Glukose der Würze verwerten.  Wenn ich also eine Würze mit niedriger Stammwürze (ca. 6 oder 7 °P) herstelle und die gesamte verfügbare Glukose vergäre, erreiche ich den Alkoholgrenzwert nicht, weshalb es als alkoholfreies Bier gilt. Aus dieser Einführung wird deutlich, dass wir bei der Einführung neuer Hefen auf dem Markt für alkoholfreies Bier darauf achten, dass sie nur die in der Würze enthaltene Glukose verzehren können. Dieser Test ist im Labor sehr einfach und erlaubt die Bewertung vieler Hefen gleichzeitig, aber dann kommt der komplexere Teil, bei dem die Gärfähigkeit, die erzeugten Aroma- und Geschmackskomplexe sowie ihre Reproduktionsfähigkeit bewertet werden. Das Bemerkenswerte an dieser Maßnahme ist, dass sie das Spektrum der Möglichkeiten erweitert und wir nicht mehr mit Saccharomyces arbeiten, sondern neue Gattungen wie Torulaspora, Lachancea, Pichia, Cyberlindera und andere einführen und wiederentdecken können.

Was die Erzeugung von Lagerhefen betrifft, so ist die Entwicklung begrenzter und konzentriert sich hauptsächlich auf die Erzeugung neuer Aroma- und Geschmacksprofile, wobei jedoch die gleiche Logik der Lagerhefen beibehalten wird, die sich gut für die Gärung bei niedrigen Temperaturen eignen und robust für die Handhabung in der Industrie sind.